Zum siebzigsten Mal jährt sich dieses Jahr der versuchte und gescheiterte Umsturzversuch vom 20. Juli 1944. Seit 1963 steht dieser Tag auch im offiziellen Kalender der Bundesrepublik, doch bis heute, so scheint es, haben vor allem die politischen Eliten unseres Landes ein sehr gespaltenes Verhältnis zu den Vorgängen und Akteuren desletzten und bedeutendsten Aufstandes gegen Hitler.
Auf dem Gebiet der ehemaligen DDR war es von Beginn an quasi Staatsraison, dass(Groß)Bauern, Gutsherren, Unternehmer und einige mehr, diejenigen gewesen seien, die Hitler in den Sattel gehoben hätten. Genau diese Argumentation diente dann auch direkt nach dem Krieg den deutschen Kommunisten als moralische Rechtfertigung für Raub, Vertreibung, Gewalt bis hin zum Mord an eben diesen politisch unerwünschten Bürgern. Dass sich unter den pauschal verurteilten Hauptkriegs- und Naziverbrechern neben den mehrheitlich völlig Unbescholtenen auch reihenweise Angehörige derer befanden, die rund um die Ereignisse des 20. Juli von den Nazis gefoltert und gemordet wurden, passte um so besser ins Kalkül, weil die neuen Machthaber mit Sicherheit davon ausgehen konnten, daß diese sich auch gegen die nächste sozialistische Diktatur auflehnen würden, wenn man ihnen auch nur die kleinste Möglichkeit dafür lassen würde. Auch darf nicht vergessen werden, dass eben auch die Familien auf Grund der von den Nazis und später auch von den Kommunisten praktizierten Sippenhaft kaum mildere Schikanen zu ertragen hatten.
Es war eine bewusste Entscheidung der schwarz-gelben Bundesregierung 1989/90, das himmelschreiende Unrecht des DDR-Regimes weitestgehend auf sich beruhen zu lassen, was einer moralische Absolution des kommunistischen Weltbildes und der aus ihm resultierenden Verbrechen gleichkam. Die Überzeugung, der deutsche Adel, Großbauern und Industrielle seien Schuld am Aufstieg der Nazis, setzte sich dadurch auch in Westdeutschland zunehmend durch. So wird der Zugang der „Eliten“ in Politik und Medien des heutigen Deutschlands zu dem bekanntesten Widerstandsereignis der Nazizeit immer schwieriger, bestand doch der Kreis der Beteiligten fast vollständig aus Offizieren, aus Adeligen, aus Söhnen von Grundbesitzerfamilien. Es scheint unserem heutigen politisch-medialen Personal unmöglich die Realität des 20. Juli mit dem eigenen Weltbild in Einklang zu bringen. Ein Weltbild, in dem die Helden des Widerstands entsprechend der eigenen Stereotypen eigentlich die Nazitäter sein müssten Es ist schon fast davon auszugehen, dass genau diese Denkweise in den Tagen der Wiedereinigung bereits latent in den Köpfen unserer politischen Führung verankert war, egal wie „liberal“ oder „konservativ“ sie sich selbst bezeichnete. Anders ist die Entscheidung der Bundesregierung, das gestohlene Eigentum, eben auch vieler Widerstandskämpfer, aus dem Bundesvermögen meistbietend zu verkaufen, anstatt es den rechtmäßigen Eigentümern bzw. deren Erben zurückzugeben, nicht zu verstehen. Als Rechtfertigung wurde damals, man höre und staune, angeführt, dass die Maßnahmen gegen Nazi- und Kriegsverbrecher nicht angetastet werden dürften. Die Sippenhaft, unter denen die Angehörigen der Verschwörer in den letzten Monaten des Dritten Reiches noch massiv zu leiden hatten, deretwegen sie danach von deutschen Kommunisten aus ihrer Heimat verjagt wurden, wurde nun 45 Jahre nach ihrer offiziellen Abschaffung erneut gegen sie ausgesprochen. Weil sie Erben angeblicher Naziverbrecher seien, wurde ihnen die Rückkehr in ihr Zuhause verwehrt.
Für die Angehörigen und wenigen Überlebenden der Beteiligten des 20. Juli war dies ein brutaler Schlag ins Gesicht. 1996 sagten Hans Albrecht von Boddien und Philipp von Boeselager als zwei der letzten Überlebenden ihre Teilnahme an der offiziellen Gedenkfeier ab, wozu von Boddien in einem offenen Brief erklärte (http://www.focus.de/politik/deutschland/widerstand-strafe-fuers-ueberleben_aid_162319.html): „Als einer der wenigen am Leben gebliebenen und heute noch lebenden aktiven Teilnehmer des 20. Juli 1944 empfinde ich es als unerträgliche Mißachtung unseres Widerstandes gegen Nazigewalt und -unrecht, daß die derzeitige Regierung [Kohl] sich anmaßt, den aus dem deutschen Osten stammenden Widerständlern als „besonderen Dank für den selbstlosen Einsatz“ Familienbesitz, die geliebte Heimat mit Haus und Hof zu rauben und zu verscherbeln…“
Bereits 1993 starb mit Axel von dem Bussche ein anderer Überlebender des 20.Juli, der ebenfalls seines Erbes beraubt, resigniert nach erfolglosen Klagen gegen die Bundesrepublik, als letzte Worte gesprochen haben soll, dass er sich schäme einen deutschen Pass in der Tasche zu haben. Für ein solches System habe er nicht sein Leben riskiert!
Seit einigen Jahren wurde unter der Regierung Merkel das feierliche Gelöbnis der jungen Soldaten des Wachbataillons vom Bendlerblock weg, vor den Reichstag verlegt. Vielleicht mag der Platz optisch ansprechender sein als der enge Innenhof des schlicht gehaltenen Gebäudekomplexes, doch wird die Feier damit auch vom Ort des Geschehens – der Gedenktafel an der Wand, an der der engste Verschwörerkreis noch in der Nacht zum 21.Juli standrechtlich erschossen wurde – weg zum Ort der politischen Entscheidung gelegt. Das ist schon ein mehr als symbolischer Akt, der die Akteure und ihr auf ihrem Gewissen beruhendes Handeln in den Hintergrund schiebt und dafür den Gehorsam der Armee gegenüber der Politik in den Vordergrund stellt. Die Botschaft dieses Gedenktages wird damit zunehmend negiert.
Diese Entleerung des Inhalts und die Tatsache, dass die Erben der Widerstandskämpfer bis heute wie zu Zeiten der Sippenhaft als Verbrechererben gebrandmarkt werden, lässt immer mehr den Eindruck aufkommen, dass alljährlich am 20. Juli nicht der versuchte, sondern der gescheiterte Widerstand gefeiert wird. Statt einer auf halbmast stehenden Trauerbeflaggung, die zum Gedenken an die ermordeten Helden des Widerstands anregen würde, suggeriert die Vollbeflaggung geradezu einen Triumph, den Sieg über alle Widersacher. Ein Sieg über alle, die sich als freie Menschen ihrem Gewissen gegenüber verantwortlich gefühlt und entsprechend diesem Gewissens bis in die letzte Konsequenz gehandelt haben.
Nach 1944 unter den Nazis und 1945 unter den Kommunisten wurden die letzten Überlebenden und Erben der Widerstandskämpfer 1990 durch die schwarz-gelbe Bundesregierung ein drittes Mal bestraft, indem man ihr Erbe vor ihren eigenen Augen öffentlich zum Verkauf stellte und dabei nicht selten auch Familien bekannter, echter Naziverbrecher den Zuschlag gab. Spätestens seit dieser politischen Entscheidung ist der 20. Juli zu einer Farce sondergleichen verkommen. Wer die offiziellen Veranstaltungen zu diesem Gedenktag verfolgt, sollte sich bewusst sein, dass die Bundesrepublik sich an diesem Tag vielleicht unbewusst, aber dennoch stolz als Vollstrecker national-/sozialistischer Verbrechen präsentiert.