Schicksale

Ketschendorf bei Fürstenwalde – eines der schlimmsten Lager, die die sowjetische Armee 1945 auf ihrem Besatzungsgebiet errichtet hatte

„Im Totenbuch Ketschendorf sind alle Luckenwalder zu finden, die in Ketschendorf ihr Leben lassen mussten. So auch 62jährig mein Großvater, Ing. Hermann Koebe II., Inhaber der Feuerwehrgerätefabrik Hermann Koebe und Leiter der Feuerwehr Luckenwalde.

Lt. Mitteilung der russischen Militärstaatsanwaltschaft Moskau lag gegen ihn nichts vor. Er wäre „lediglich interniert“ gewesen. Diese Anfrage stellte ich nach der Wende im Zusammenhang mit der angestrebten Rückgabe unserer gestohlenen Feuerwehrgerätefabrik, was die Politik leider verhinderte.

Vor Verschleppung nach Ketschendorf wurde er in den NKWD-Sammelkeller Luckenwalde verbracht und ständig nächtlichen Verhören und Bedrohungen ausgesetzt. Man verhaftete ihn im Juli 1945 aus dem Bett heraus, wo er wegen einer Brandverletzung lag, die er sich bei einem Waldbrandeinsatz der Feuerwehr zugezogen hatte.

Meiner Mutter, damals im Roten Kreuz tätig, wurde mit Lebensmitteln Zugang zu meinem Großvater in diesen Keller gewährt. Er hockte wie ein Häufchen Unglück in einer Ecke des Kellers, erzählte sie.

Er ist im Winter 45/46, auch wegen der Nichtbehandlung der Brandverletzung, elendig zugrunde gegangen, wie mein Vater berichtete, der ebenfalls in der Hölle Ketschendorf war.

Wie liefen solche Verhaftungen ab?

Am Nachmittag des 24. Juli 1945 bestellte man meinen Vater – er war damals 31 Jahre alt – ins Rathaus von Luckenwalde mit der Begründung, einiges mit ihm besprechen zu wollen. Immer wieder standen wir wartend und beunruhigt am Erkerfenster Wilhelmstraße 9 (heute Poststraße). Mitten in der Nacht fuhren plötzlich zwei Autos vor. Mehrere Personen in langen Mänteln, darunter eine Frau, stiegen aus. Mein Vater stand in der Mitte.

Es begann eine etwa zweistündige Durchsuchung unserer Wohnräume. Alles wurde durchwühlt. Dabei musste mein Vater im großen Erkerzimmer auf der einen Seite sitzen und meine Mutter mit ihren beiden Kindern auf der anderen Seite. Wir durften uns nicht rühren und auch nicht mit meinem Vater reden. Meine Mutter versuchte es und wurde jedes Mal von einem der Aufpasser fürchterlich angeschrien. Dann schnappten sie sich meinen Vater und runter gings auf die Straße. Meine Mutter brachte noch einem Mantel hinterher. Sie sah ihren Mann erst 4 1/2 Jahre später wieder.

Seine erste Station war ein Keller im Schloss Cäcilienhof in Potsdam und dann wurde er für 2 Jahre nach Ketschendorf gebracht. Anschließend erfolgte die Deportation in wochenlangem Güterwagentransport zur Zwangsarbeit in den sibirischen Bergbau. Erst von dort erhielt meine Mutter – 25 Worte waren erlaubt – das erste Lebenszeichen und die verschlüsselte Mitteilung, dass mein Großvater gestorben war mit der Formulierung „bewahrt Vaters Erbe“.

Großvater und Vater wurden behandelt als seien sie „vogelfrei“ – böswillig als „Klassenfeinde“ denunziert. Viele der Luckenwalder Unternehmer ereilte dieses Schicksal, soweit sie nicht vorher geflohen waren. „Was soll uns passieren? Wir haben uns nichts zu Schulden kommen lassen und bleiben“, sagte mein Großvater nach dem Einmarsch der Russen, die ihn wieder als Betriebsleiter einsetzten. Es war der Irrtum seines Lebens.“

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